Auf der Suche nach Glück
Unser Gehirn filtert die meisten Eindrücke unseres Alltags aus unserem Bewusstsein, damit wir nicht im permanenten Overload leben [1]. Wie sich das anfühlt, kennt jeder von Städtetouren am Wochenende: man nimmt sich zwei Tage Zeit, um eine Grossstadt wie Rom oder Paris möglichst vollständig zu erkunden. Anschliessend fühlt man sich erschöpft von all den Eindrücken, weil wir alles aufsaugen und möglichst viele Details in der kurzen Zeit aufnehmen wollen. Das stellt sehr hohe Ansprüche an unsere Sinne und Gedächtnis, die wir unmöglich jeden Tag aufrechterhalten könnten.
Gefilterter Alltag
Unsere Sinneseindrücke im Alltag zu filtern ist also lebensnotwendig, jedoch merken wir oft nicht, in welche Richtung sich unser Filter entwickelt. Unbewusst kann er einseitig werden und uns das Gefühl geben, das Leben wird immer schwerer und belastender [1, 2]. Die Antwort einiger Psychologen darauf lautet „positive Psychologie“, d.h. die Umpolung unseres Filters auf die schönen Dinge des Lebens. Wie man den ersten Schritt in diese Richtung macht, habe ich in diesem Artikel bereits beschrieben.
Verschiebung des Blickwinkels
Die Grundlage der positiven Psychologie ist der Perspektivwechsel. Dabei geht es nicht um eine unrealistische Betrachtung der Umwelt unter Ausblendung von Stress und Herausforderungen. Stattdessen öffnest du deinen Blickwinkel, was dir nicht nur Kraft gibt, sondern sich auch positiv auf deinen Körper auswirken kann.
In beklemmenden Momenten von „alles ist Mist“ steigt der Puls und die Atmung verkürzt sich. Im Yoga lernen wir, durch Atmung und Bewegung die Kontrolle über den Körper zurückzugewinnen (z.B. mit den Übungen in diesem Artikel). Positive Psychologie hat den gleichen Ansatz für den Kopf: durch regelmässiges Üben von positiven Gedanken können wir uns in düsteren Momenten ein Licht erschaffen [3].
Die Forscherin Daniela Blickhan beschäftigte sich eingehend mit der Wirkungsweise von positiver Psychologie und kam zu dem Schluss, dass sie die Stressresistenz deutlich erhöhen kann und uns positive Emotionen intensiver erleben lässt [3, 4].
Das kann dich nicht überzeugen? Der Wissenschaftler Michael Tomoff sah es ebenso und schrieb eine kritische Auseinandersetzung mit positiver Psychologie im Spannungsfeld zwischen Selbsthilfebüchern und Wissenschaft [5]. Er zeigt auf, dass sie kein Ersatz für eine professionelle Behandlung ist, aber eine gute Ergänzung sowie eine effektive Methode für Menschen jeden Alters, um den Alltag zu bereichern und Stress zu bewältigen.
Andere Forscher zeigen auf, dass man durch einen übertriebenen Optimismus Fantasien erzeugt, die einer Verbesserung des eigenen Lebens schliesslich im Weg stehen können. So haben manche Menschen die Neigung, ihren Filter nur zwischen den Extremen (rein positiv oder negativ) zu polen. Die Folge davon sind in beiden Fällen Depressionen, denn entweder man sieht nur schlechtes, oder man verkennt den eigenen Gestaltungsfreiraum und lehnt sich in einer "ist doch alles gut so"-Haltung zurück. Nehmen wir das Beispiel eines Studenten, der zwar in seinen Prüfungen nicht durchfällt aber durchaus Luft nach oben hätte. Eine übertrieben positive Sichtweise auf führt dazu, dass er erstmal zufrieden ist solange die Prüfungen bestanden sind, jedoch sich langsfristig so wenig Mühe gibt, dass er am Schluss trotzdem das Studium nicht schafft. Seine positive Einstellung könnte in diesem Fall sogar verhindern, dass er seine eigene Schuld nicht anerkennt und sich frustriert und deprimiert als Opfer von äusseren Umständen sieht. Das Beispiel zeigt, dass wir unsere Realität in ihrer Vollkommenheit anerkennen müssen- mit allen Schatten- und Lichtseiten. So können wir unsere Chancen wahrnehmen und unser Leben frei gestalten (wissenschaftlich bekannt als "Fantasy Realisation Theory" [6]).
Glücksfilter für Anfänger
Falls du mehr darüber lesen willst, aber keine Lust auf wissenschaftliche Studien hast, kann ich dir die Bücher von Dominik Spenst ans Herz legen [7]. In seinem „6 Minuten Tagebuch“ investierst du morgens und abends je drei Minuten in neue Denkmuster und erhältst in einer ausführlichen Einleitung zusätzliche Erläuterungen zur positiven Psychologie und Entwicklung von Routinen.
Ich habe mich mehrere Monate mit einem Notizbuch an positiver Psychologie versucht. Dabei kam mir der geringe Aufwand besonders verlockend vor: mit nur fünf Minuten am Tag meinen Kopf umpolen, was will man mehr? Ich schrieb konsequent jeden Tag drei gute Dinge auf, z.B. schöne Momente, leckeres Essen, kleine und grosse Erfolgserlebnisse. Nach einigen Wochen hielt die Methode ihre Versprechen tatsächlich ein: besonders an ätzenden Tagen im Büro suchte ich gezielt nach etwas positivem, dass ich abends notieren konnte. Und in Momenten von Angst und Panik konnte ich darauf zurückkommen und mich gezielt damit aus dem Sumpf ziehen. Zugegeben, je nach Sumpf braucht es manchmal mehr als ein paar gute Gedanken, aber sie sind ein wunderbarer Anfang um nicht völlig zu versacken.