Yoga bei Stress und Burnout
Der menschliche Körper ist eine Wunderwerk voller Überraschungen. Ständig macht er möglich, was wir nicht für möglich gehalten hätten. Diese Erkenntnis überkam mich letztes Jahr, als ich in der Woche vor der Verteidigung meiner Doktorarbeit kaum noch schlafen konnte und immer nervöser wurde, aber am Morgen der Verteidigung trotz kompletter Erschöpfung hellwach und anwesend war. Mein Gehirn hat erkannt, dass jetzt nicht der Moment für Wellness ist, und hat meinem Körper alle nötigen Signale geschickt, damit der mich über mehrere Stunden bestens durch diese extrem stressige Situation bringt.
Seitdem frage ich mich, wie mir mein Körper so viel Energie bereitstellen konnte. Ich hatte auf einmal auch einen anderen Blick auf sportliche Leistungen, denn mir wurde klar, wie sich Hochleistungssportler bei grossen Wettkämpfen fühlen müssen- auch sie sind in der Lage im richtigen Moment sämtliche Reserven zu mobilisieren und trotz völliger Erschöpfung die Ziellinie zu erreichen.
Nach einigen Recherchen zeigte sich des Rätsels Lösung: unser Kopf und Körper funktionieren noch immer nach alten Mechanismen, die einst unseren Urahnen das spontane Kämpfen oder Flucht vor Gefahren (und somit das Überleben) ermöglichten. Wenn wir Stress empfinden, beginnt im Hirn eine biochemische Kettenreaktion. Mittels Hormonen wird eine wichtige Reaktionen in den Organen auslöst, damit unsere Körper auf 200% laufen kann [1].
Teamwork von Kopf und Körper
Genauer hingeschaut, zeigt sich ein komplexes Netzwerk zwischen Gehirn, Hormonen und Organen. Bei grossem Stress wird im Zwischenhirn (Hypothalamus) ein Notsignal an die Nebenniere geschickt, um grosse Mengen des Hormons Cortisol zu produzieren. Die Nebenniere gehorcht und schickt eine Cortisol-Armee in den Körper, die in allen Organen die Nährstoffreserven mobilisiert. Wo genau und was auch immer gerade benötigt wird, der Körper ist alarmiert und aktiviert. Wir überwinden so Erschöpfung, egal ob im Job, Sport oder beim Wettlauf mit einem Wildtier in der Savanne [2, 3].
Diese Höchstleistung kann unser Körper bei Bedarf nicht nur aktivieren, sondern auch wieder abschalten. Dafür muss dem Zwischenhirn ein klares Signal über das Ende der gefährlichen Situation geschickt werden. Das geht besonders gut durch menschlichen Kontakt, sozusagen die Rückkehr in die sichere Höhle zu Familie und Freunden. Beim Sprechen oder Berühren wird unser System mit dem „Kuschelhormon“ Oxytocin geflutet [4, 5], was in uns das wunderbare Gefühl von Glück auslöst. Nach stressigen Situationen weiss unser Körper so ausserdem, dass Cortisol und Adrenalin nun abgebaut werden können.
Stress als Dauerzustand
Dieser extreme Einsatz von Reserven ist für den Notfall gedacht, aber in vielen Lebenslagen wird er zum Dauerzustand. Während meiner wissenschaftlichen Arbeit hatte ich monatelang schlaflose Nächte und wachte immer wieder gegen 4 Uhr morgens auf, um über Laborexperimente oder Vorträge zu grübeln. In dieser Phase habe ich mir sehr wenig Freizeit gegönnt und meine ganze Kraft auf meine Forschung konzentriert. Ich war sehr müde war und fand einfach keine Ruhe, und beim Treffen mit Freunden war mein einziges Thema meine Arbeit. Da zeigte sich, was für dauerhaft gestresste Menschen leider normal ist: mein Hirn dachte monatelang, ich sei in einem Zustand der Bedrohung und flutete meinen Körper immer wieder mit Cortisol, um mich trotz der Erschöpfung voran zu bringen.
Viele Stress-geplagte Menschen leiden unter ähnlichen Unterbrechungen ihres Schlafes (typischerweise zwischen 3 und 4 Uhr), wenn die tiefste Schlafphase erreicht werden sollte. Ist das vielleicht ein Schutzmechanismus gegen nächtliche Raubtierangriffe? Jedenfalls werden als Konsequenz von langanhaltendem Stress die Nährstoffreserven zunehmend aufgebraucht und viele Körperfunktionen negativ beeinträchtigt, was zu allerhand lästigen Erscheinungen wie ständigen Erkältungen, Haarausfall und Hautproblemen führen kann.
Wer jahrelang so lebt, der kann seine Organe auf diesem Wege aber auch ernsthaft schädigen und sogar Schlaganfälle und Herzinfarkte riskieren [6]. Das Gehirn über so lange Zeiträume im Gefahrenmodus zu belassen, führt auch zu Veränderungen seiner Struktur, was man optisch bei einem Scan anhand der Umbildung von Verbindungen zwischen Nervenzellen sehen kann [3].
Diese so genannte Neuroplastizität klingt erschreckend, ist aber auch eine gute Nachricht. Wenn wir uns die Situation bewusst machen und durch viele kleine Schritte positive Veränderungen in unserem Alltag bewirken, kann sich auch unser Gehirn wieder anpassen.
Kleine Veränderung, grosse Wirkung
Solche Schritte zu positiver Veränderung kann man mit mentalen und körperlichen Übungen herbeiführen. Mentale Übungen sind zum Beispiel allabendlich etwas positives aus dem Tagesgeschehen aufzuschreiben. Über längere Zeit verändert das nicht nur die Denkart, sondern tatsächlich auch die Struktur im Kopf.
Körperlich muss besonders auf den Aufbau der Nährstoffreserven geachtet werden. Es braucht dann Schlaf, gesundes Essen und Bewegung, damit der erschlaffte Metabolismus wieder angetrieben wird. Zum Beispiel konnten mehrere Studien bei Sportlern zeigen, wie zentral diese drei Elemente bei der Wiederherstellung ihrer vollen Kapazität sind [1, 7].
Schlaf, Essen und Bewegung sind für uns alle von zentraler Bedeutung, wenn wir grossen Stress durchleben. Es ist natürlich sehr anstrengend, unter dauerhafter Belastung auch noch auf gesunde Ernährung zu achten. Manchmal reicht schon der Abschied von ungesunden Gewohnheiten, z.B. fettiges Fastfood mit frischem Gemüse ersetzen [8, 9]. Viele meiner Kollegen glichen ihren Stress mit Sport wie Jogging und Fussball aus. Die Gedanken stehen dann endlich mal still und der Metabolismus wird angeregt. Sport bei hoher Leistung führt allerdings auch zur Cortisol-Ausschüttung und ist daher nicht immer hilfreich. Für den Körper sind sanfte Methoden dann besser, womit wir beim Yoga angekommen wären.
Was kann Yoga, was andere nicht können?
Es ist kein Geheimnis, dass Yoga und Meditation bei Stress helfen können. Viele Firmen bieten mittlerweile kostenlose Seminare an und haben eigene Yogagruppen zu Pausenzeiten. Wer unter Dauerstress leidet, spürt dies permanent und kann einfach nicht herunterfahren. Der Atem geht zu schnell, der Herzschlag ist erhöht. Yoga und Meditation lindern die Symptome durch sanfte Bewegung und spezielle Atemtechnik, die auch im Alltagsleben hilfreich sein kann und damit nachhaltig ist [10, 11].
Entspannungsübungen sollten möglichst regelmässig durchgeführt werden, um in den besonders wichtigen Momenten zu wirken [15]. So erlangt man die Kontrolle zurück und ist nicht länger Opfer der eigenen Biochemie [14]. Dabei muss es nicht gleich eine Stunde Meditation oder Yoga sein, auch kurze Übungseinheiten können schon eine Linderung hervorrufen.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es nichts Schöneres gibt als endlich das Gefühl zu haben, dass man Panik, Ängsten und Stress etwas entgegensetzen kann und so die Kontrolle über sein Leben zurückerhält. Die Stunde vor meiner Doktorverteidigung habe ich allein im Prüfungsraum verbracht und einfache Atemtechniken wie
Quellen und Verweise
[12] YogaEasy: Wechselatmung (Nadi Shodana)
[13] Dr. Friedman in US News, 21.02.2017:, Bezug auf die Studie von Friedman, Benjamin W., et al. "Diazepam is no better than placebo when added to naproxen for acute low back pain." Annals of emergency medicine 70.2 (2017): 169-176.
[14] YogaEasy: Stressreaktionen und Yoga erklärt von Dr. Maria Wolke
[15] Brefczynski-Lewis, Julie A., et al. Neural correlates of attentional expertise in long-term meditation practitioners. Proceedings of the national Academy of Sciences 104.27 (2007): 11483-11488.