Yoga in der Schwangerschaft
Alles bleibt im Fluss
Als ich schwanger wurde, habe ich mir über mein Sportprogramm wenige Sorgen gemacht. Ich mache seit Jahren jeden Tag Yoga und wollte das natürlich beibehalten. In den ersten zwei Monaten habe ich mir nur wenige Gedanken zu den Dos & Don’ts von pränatalem Yoga gemacht. Stattdessen galt für mich, was schon immer meine Regel Nummer 1 war: folge deinem Körpergefühl, tu nichts was sich nicht gut anfühlt und bleib bei dem, was dir guttut. Nichts konnte meine Vinyasa-Sequenzen aufhalten!
Im ersten Trimester sieht man der Frau keine Veränderung an, obwohl sie mental wie körperlich eine sehr grosse Veränderung durchmacht. Ich hatte Glück, denn ausser ein paar unschönen Begegnungen mit Lebensmitteln, einem unglaublich hohen Schlafbedarf und wilden Stimmungsschwankungen waren meine Schwangerschaftsbeschwerden in den ersten Monaten sehr milde.
Daher fing ich auch erst gegen Ende des ersten Trimesters an, mich mit Schwangerschaftsyoga zu beschäftigen- was ist erlaubt, was nicht? Das war dann doch ein grosser Schock, denn auf einmal gab es so viele Regeln und Verbote. Vielleicht war das Internet in diesem Fall auch nicht die beste Quelle, denn überall stand etwas anderes und ich schien bereits alles falsch gemacht zu haben.
Realität trifft Wunschvorstellung
Mein perfektionistisches Ego wollte in der Schwangerschaft unbedingt alles richtig machen: nur das richtige essen, die richtigen Nährstoffe aufnehmen, möglichst keine Schadstoffe aufnehmen (0% Alkohol natürlich), möglichst keinen Stress auf mein Baby übertragen und die richtige Menge an Bewegung.
Es stellte sich jedoch heraus, dass das alles im normalen Leben gar nicht so einfach ist, denn man hat ja noch seine eingesessenen Gewohnheiten und dann auch die vielen Leute um einen herum, die ständig kommentieren müssen was da alles falsch läuft oder warum dies und jenes übertrieben ist. Da war ich sogar ein bisschen dankbar für die Auswirkungen des Corona-Virus, denn das limitierte die Anzahl sozialer Kontakte und damit auch der ungebetenen Kommentare. Ich hatte unterschätzt, wie gross diese Veränderung physisch und mental für mich sein würde, und konnte meinen eigenen Weg nicht finden, solange mir ständig jemand sagte wie er zu verlaufen hatte.
Alles steht still
Im Verlauf des zweiten Trimesters musste ich mir eingestehen, dass das mit der Perfektion nicht stattfinden würde, weil es in dieser Situation keine absolut richtige Strategie gibt. Der Körper macht eine grosse Transformation durch, die alles aus dem Gleichgewicht bringt. Besonders zu Beginn des zweiten Trimesters hatte ich oft das Gefühl, mich selbst nicht wiedererkennen zu können: Heisshunger, Stimmungsschwankungen, Schlaf, alles war durcheinander. Insgesamt hat mich das stark verunsichert, sodass ich mein normales Yoga- und Sportprogramm einfach einstellte. Das kam mir erleichternd vor, weil es die Zweifel über richtig und falsch erstmal ausräumte.
So einfach war es dann aber doch nicht. Yoga ist seit Jahren ein essentieller Bestandteil meines Alltags, mein Allheilmittel für alle physischen und mentalen Herausforderungen. Nach einigen Wochen der Pause war mir klar: ich kann das nicht einfach aussitzen.
Rückbesinnung auf die Grundlagen
Im zweiten Trimester finden die meisten Frauen langsam zu einem neuen Gleichgewicht. Kopf und Körper hatten genug Zeit, um sich mit der neuen Situation anzufreunden. Etwa ab dem fünften bis siebten Monat beginnt daher „die goldene Phase der Schwangerschaft“, wenn man sich besser fühlt und Energie und Tatendrang zurückkommen.
Ich legte ein paar meiner Ansprüche ab und freundete mich mit dem Gedanken an, dass nicht alles perfekt laufen würde. Für mein Yoga zeichnete ich mir Sequenzen auf, die sich nur aus einfachen Anfänger-Posen zusammensetzten, welche wenig Risiko mitbrachten. Jahrelang habe ich Freunden und Familie ständig erklärt, dass es das richtige Yoga für jeden gibt- aber in meinem eigenen Leben habe ich Monate gebraucht, um diese Nachricht auch für mich umzusetzen. Für einen stark beanspruchten Körper ist eine intensive Vinyasa-Stunde vielleicht nicht das richtige, aber das heisst ja noch lange nicht, dass man mit einer kurzen Hatha-Sequenz nicht auch glücklich werden kann. Wieder im Flow zu sein, fühlte sich toll an und linderte zudem sämtliche Wehwehchen, die sich an Rücken und Beinen entwickeln.
Doch gegen Ende des zweiten Trimesters stellt sich eine neue Phase ein: der verschluckte Fussball. Auf einmal hat man eine täglich wachsende Kugel, die jeder Bewegung des Alltags im Weg steht. Da hörte der Spass an der Bewegung langsam wieder auf, ich konnte noch einige Zeit die Dehnübungen anpassen und so in Bewegung bleiben, aber spätestens sechs Wochen vor Termin war damit Schluss.
Ruhe bewahren
Ich stehe jetzt kurz vor der Geburt. Ein Alltag ohne Yoga ist seltsam, als würde man ohne Salz kochen. Es geht, aber schön ist es nicht. Zum Glück gibt es immer noch Atemtechniken und Meditation, die meine wilden Gedanken wieder auf den Boden bringen und am Schluss sogar hilfreich bei der Geburt sind. Auch wenn mir die Flows fehlen, bekomme ich mein tägliches Yoga jetzt aus anderer Quelle. Anstatt die Matte auszurollen, gibt es jetzt mehr Atemtechnik, Philosophie und Geschichte, denn Yoga findet ja auch im Kopf statt.
Mein Fazit: Yoga in der Schwangerschaft? Unbedingt! Der Einklang von Bewegung und Atem bringen Ruhe und Gleichgewicht in diese unruhige Zeit und sind eine gute Vorbereitung für die Geburt. Aufgrund der Wandlungsfähigkeit und den vielen Stilrichtungen im Yoga kann man jederzeit den richtigen Stil wählen, und ihn laufend den Phasen der Schwangerschaft anpassen. Und wer nicht weiterkommt, sollte sich Unterstützung beim pränatalen Yogalehrer deines Vertrauens holen. Manche Dinge macht man sich eben unnötig schwer, wenn man sie unbedingt allein durchstehen will.